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Die über 2000 Jahre alte Tanz- und Schauspielkunst aus Südindien

Wohl keine Kultur hat uns ein derart vielfältiges und reiches Erbe an Kunst und Philosophie hinterlassen wie Indien. Viele unserer Dichter, allen voran Goethe, haben sich von Indien inspirieren lassen und seine starke Anziehungskraft gespürt.

Nach indischem Verständnis ist Kunst eine göttliche Offenbarung, geschaffen un die Seele zu erheben. Sie soll ein Vorbild des Idealen sein. Durch vollkommene Ästhetik und Harmonie soll sie den ‚göttlichen Funken’ im Menschen wecken und wachsen lassen. Ähnlich wie bei den alten Griechen, gilt sie auch hier als Weg zur Individuation (Selbstrealisation).

Der Charakter des Bharata Natyam ist urwüchsig, kraftvoll und zart, graziös. Die Harmonie ensteht aus der Verschmelzung von Anmut und äusserster Dynamik.

Wie jede indische Kunstform hat auch der Bharata Natyam eine lange Tradition. Er bezieht sich auf eine alte Schrift: das Natyashastra (natya = Tanz und Schauspiel, shastra = Wissenschaft) Das Natyashastra wird z.T auf über zweitausend Jahre alt geschätzt. Es enthält alle theoretischen Grundlagen der bis ins kleinste Detail ausgereiften Tanz- und Schauspieltecknik und gilt bis heute für die meisten klassisch indischen Tanzstile als verbindlich. Der Legende nach wurde es dem Weisen Bharata vom Schöpfergott Brahma im Auftrag der Götter diktiert. Es sollte dazu dienen, das Wissen der heiligen Veden allen Menschen zugänglich machen.

Schon damals, zu Beginn, war der Tanz eine Bühnenkunst.  Zur Zeit der südindischen Hochblüte (6.-16. Jhd. n. Chr.) gelangte er dann in die Tempel und erlangte ein hohes Ansehen. Ausgebildete Tänzerinnen (Devadasis = Dienerinnen Gottes) tanzten zu Ehren Gottes. Später wuden die Tempel vermehrt von Königen und anderen reichen Mäzenen unterstützt. Der Tanz diente immer öfter zur Unterhaltung an den Höfen. Als die Engländer nach Indien kamen, geriet er gänzlich in Verruf, wurde im Tempel verboten und verschwand beinahe im Untergrund. Erst wieder anfangs des letzten Jahrhunderts, als berühmte Dichter wie Ranbindranath Tagore und andere indische Künstler sich auf ihre eigenen Wurzeln besannen, gelangte diese Tanzkunst allmählich wieder auf die Bühne. Dank ihrer fundierten Technik hat sie sich einen Platz in der internationalen Tanzszene erobert und ist heutzutage von weltweiter Bedeutung. Die unterschiedlichsten Tanzrichtungen bis hin zum Eiskunstlauf lassen sich vom indischen Tanz inspirieren.

Heute unterscheidet man zwischen 6 klassisch indischen Tanzstilen, wovon Bharata Natyam der am meisten verbreitetste ist. Er wird sowohl von Männern, als auch von Frauen getanzt. Es handelt sich hier um eine durch lange Überlieferung sehr ausgereifte Tanz- und Schauspielkunst. Sie gilt als eine klassische Kunst und unterscheidet sich darin von folkloristischen Darbietungen. Die Bewegungen sind äusserst dynamisch und werden in komplizierte rhythmische Schrittkombinationen gefasst. Sie verleihen dem Tanz den Ausdruck von Freude, Kraft, Erhabenheit und vermitteln uns die Einheit von Körper und Geist.

Durch stilisiertes Schauspiel erhält Bharata Natyam aber auch einen erzählenden Charakter. Körperhaltung, Handgesten und eine stark verfeinerte Mimik bilden eine komplexe Sprache.

„Wohin die Hände gehen, dahin folgen die Augen; wohin die Augen gehen, dahin folgt die Aufmerksamkeit; wo die Aufmerksamkeit ist, da erscheint der Ausdruck; wo der Ausdruck erscheint, dort entsteht das Gefühl.“

Man unterscheidet hier neun Gefühlsbewegungen, wie sie im alltäglichen Leben vorkommen.

Der Tanz wiederspiegelt alle unsere tiefen Empfindungen, die allen Menschen gemeinsam sind. So kann er, auch wenn er einen indischen Ursprung besitzt, dennoch überall verstanden werden. Die Erzählungen entstammen meist der reichhaltigen Mythologie Indiens. Es können jedoch auch andere Motive dargstellt werden.